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Zusammenarbeit zur Stärkung der Elektrizitätsversorger – Teil 1

Ein altes Thema ist aktueller denn je: Im ersten Teil des Blogs analysiert Andreas Jossi, Energie-Experte bei xseed.works, die äusserst herausfordernde Situation der Schweizer Energieversorger und macht sich Gedanken über mögliche Lösungen.  

Zusammenarbeit und Zusammenschlüsse sind keine neuen Themen. Diverse Zusammenschlüsse haben in den letzten Jahren zu einer Reduktion von Energieversorgungsunternehmen (EVU) in der Schweiz geführt. Für 2022 listet die ElCom noch Tarifdaten von 601 verschiedenen EVUs auf. Die Tendenz ist weiter sinkend. Vor einigen Jahren hatte die damalige Bundesrätin Doris Leuthard sich sinngemäss geäussert, dass in der Schweiz etwa 100 EVUs sinnvoll sein dürften. Davon ist die Versorgungslandschaft der Schweiz noch weit weg. Was aber bewegt EVUs dazu, sich zu verändern? Und wie schafft man es, dass die Veränderung Sinn ergibt und erfolgreich ist? 

Das Umfeld: Hintergrund und Motivation massiver Veränderungen 

Das Umfeld der Versorger ändert sich kontinuierlich. Allerdings nicht immer auf klare und voraussehbare Art und Weise. Das ganze Energieversorgungsumfeld hat zahlreiche Baustellen, welche immer wieder für leichte Überraschungen sorgen können und dadurch zahlreiche Unsicherheiten erzeugen. Bezüglich der Entwicklung in diesem Umfeld gibt es viele Vorstellungen und es wurden auch zahlreiche Modellierungen angestellt. Doch nicht selten sind diese widersprüchlich oder offensichtlich durch Partikulär-Interessen gefärbt. Auszugsweise einige unserer Erwartungen: 

  • Der Stromverbrauch in der Schweiz wird steigen. Denn um die CO2-Ziele der Energiestrategie 2050 (ES2050) zu erreichen, gibt es eine Verlagerung von fossilen Energieträgern zu erneuerbarem Strom, welche nicht durch Sparmassnahmen kompensiert werden können. 
  • Die Importabhängigkeit steigt an. Doch auch die dezentrale Stromproduktion wird stark ansteigen. U.a. durch viele private PV-Anlagen und mittelfristig auch durch mehr Windkraftanlagen. Die Förderung für neue erneuerbare Energieanlagen bleibt mindestens bis 2030 bestehen. 
  • Die Sicherstellung der Versorgung, sei es die Energieproduktion oder die Sicherung zuverlässiger Netze und eines zuverlässigen Betriebs, wird generell anspruchsvoller. Es braucht neue Ansätze für schnelles, lokales Ausbalancierung von Produktion und Verbrauch unter Berücksichtigung der vorhandenen Netze. 
  • Die Regulierungsdichte steigt an, um ES2050 auf Kurs zu halten. Margen aus (hoheitlicher) Stromversorgung sinken – mit oder ohne Marktliberalisierung. Das heisst, Aufgaben ohne direkten Ertrag und Wertschöpfung nehmen zu, die Erträge aus den bestehenden Verkäufen nehmen aber ab. 
  • Der Klimawandel wird sich an vielen Orten auf die Verfügbarkeit von (Trink-)Wasser stark auswirken. 

 

Es ist mehr als berechtigt, sich als Versorger eine grosse Vielzahl an Fragen zu stellen: Was bedeutet für uns die volle Strom- (und Gas-)Marktliberalisierung? Wann müssen wir damit rechnen? Verlieren wir Kunden und Marge oder können wir sogar zulegen? Könnten wir einen Margenrückgang überhaupt verkraften? Was bringt die Umsetzung der Energiestrategie 2050? Welche Überraschungen bringt uns die laufende Revision des Strom-Versorgungsgesetztes (StromVG)? Welchen Einfluss auf Wasser- und Stromverbrauch wird die Klimaveränderung haben? 

Die Antworten sind nicht einfach und sind immer mit gleichzeitigem Blick auf die Versorgungssicherheit, die Wirtschaftlichkeit und die Nachhaltigkeit zu suchen. Bei der Lösungssuche stösst man immer wieder auf massive Zielkonflikte. Zielkonflikte, die sich nicht ohne weiteres auflösen lassen. Hilfreich wären nützliche Vorgaben durch den Bund. Doch gerade diese Vorgaben können auch Auslöser von Konflikten sein.  

Die Anzahl «Baustellen» steigt meistenorts schneller, als dass sie üblicherweise mit den vorhandenen Kompetenzen und dem bestehenden Personal adressiert werden könnten.

Die Kompetenzen und die Leistungsfähigkeit der Unternehmung sind zu erhöhen, um selbstbestimmt bleiben zu können. Um fähige und kompetente Arbeitskräfte wird überall geworben. Der «war for talents» (Krieg um Talente) hat auch handwerkliche Stellen im EVU Umfeld längst erreicht.

Was kommt vom Bund?

Dürfen die EVUs in absehbarer Zeit klare Antworten bei Zielkonflikten erwarten? Jein. Am ElCom Forum vom 5.11.2021 hat der Direktor des BFE, Benoît Revaz, die geplante Umsetzung der Energiestrategie 2050 mit aktuellen Akzenten vorgestellt. Es ist zu erwarten, dass durchaus Fragen geklärt werden, dass aber auch durch die zahlreichen neu aufgebrachten Themen viele neue Fragen und Unsicherheiten auftauchen werden, bis zu deren Klärung jedes EVUs selbst Antworten finden muss.

Die Energiestrategie 2050 ist bekanntermassen grossmehrheitlich eine Stromstrategie. Die vorgesehen regulatorischen Massnahmen sind sehr umfassend. Entsprechend komplex ist das Thema. Klar ist: Der Einfluss auf EVUs in den nächsten Jahren wird sehr gross sein. Aufgrund der Komplexität steigen die Anforderungen an EVUs nochmals an.

Kurz zusammengefasst stehen folgende vier grossen Themen im Zentrum:

  • Revision des Bundesgesetzes über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, kurz: Revision StromVG/EnG.
  • Strategie Stromnetze
  • Gas-Versorgungsgesetz, kurz: GasVG (Botschaft im 2022)
  • Wasserzins-Thematik (Beschluss in Herbstsession 2021: Verlängerung aktuelles Regime bis 2030)

Aktuell wird ein Mantelerlass des Bundesrates in der UREK-S diskutiert, welcher wegweisenden Charakter haben wird. Die Pakete des Mantelerlasses lassen erkennen, in welchen Themen EVUs beeinflusst werden.

  • Förderung erneuerbaren Energien verlängert bis 2035
  • Versorgungssicherheit
  • Ziele 2035 / 2050 und Energieeffizienz
  • Sichere und effiziente Netze
  • Innovation und Integration der erneuerbaren Energien

Ein Blick in die Vorstellung, was sich der Bund unter Punkt Innovation und Integration der erneuerbaren Energien vorstellt, lässt noch klarer erkennen, dass EVUs noch stärker in die Umsetzung der ES2050 eingespannt werden sollen. Es ist zu erwarten, dass dies in den meisten Punkten tatsächlich passieren wird.

  • Vollständige Strommarktöffnung
  • Messwesen
  • Datahub
  • Flexibilitäten
  • Regulatorische Sandboxen
  • Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV)

 

Zwischenfazit von xseed.works

Es ist anspruchsvoll bei der aktuellen Umgestaltung des Energiemarktes die verschiedenen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren und zudem alle regulatorischen Vorgaben korrekt umsetzen zu können. Um zielgerichtet in einem komplexen Markt sinnvolle Entscheide fällen zu können benötigen EVUs Marktwissen und Verständnis für die Treiber. Es ist zu erwarten, dass in den nächsten 2-3 Jahren viele Fragen geklärt werden. Aber auch danach werden mit Blick auf das Ziel Netto-Null bis 2050 laufend neue Treiber im Markt auftauchen, mit welche EVUs umgehen müssen.

Welche Möglichkeiten haben EVUs? Gedanken dazu im zweiten Teil.

* Die entsprechenden Präsentationsfolien finden sich bei der Elcom.

Andreas Jossi
xseed.works